Der D Day 2.0 in Lüneburg und wer dahinter steckt

Ende vergangenen Jahres riefen unter dem Motto D Day 2.0 diverse sogenannte Querdenker*innen um den suspendierten Hannoveraner Kriminalhauptkommissar Michael Fritsch (1) zwischen dem 20. und 31. Dezember 2020 zu zentral organisierten Blockaden von Infrastruktur mit Großfahrzeugen auf. Ziel war es, sich mit diesem sogenannten „Blockdown“ gegen einen europäischen Lockdown zu wehren.

Michael Fritsch hat mehrmals die gegenwärtige Politik mit dem Nationalsozialismus und der Shoah verglichen und einen kommenden Umsturz herbei phantasiert (2). Aufruf und Organisation zum deutschlandweiten D Day 2.0 fanden in verschiedenen bundesweiten und lokalen, öffentlich zugänglichen Chatgruppen des Messengers Telegram statt. Hier finden sich Menschen aus der radikalen Querdenken-Szene, unter ihnen auch Reichsbürger*innen, Anhänger*innen von Verschwörungserzählungen sowie Neonazis.

Ersteller, Admin und treibende Kraft hinter der lokalen D Day 2.0 Gruppe Lüneburg war der selbständige Lüneburger IT-Entwickler Thorben Kaufmann. Schon 2019 war er in der rechten Telegramgruppe Patrioten in Hamburg sehr aktiv und plauderte dort offen über seine Gesinnung und sein Privatleben. Er spielt Schlagzeug, ist Vater eines Sohnes, befürwortet Bürgerwehren, und spricht sich wiederholt dafür aus, „aktiv“ zu werden und nicht nur Informationen zu tauschen. (siehe Telegram Screenshots am Ende des Artikels)

Unter dem Benutzernamen TangoKiloOne ist Thorben Kaufmann nicht nur bei Telegram, sondern auch mit einem öffentlichen Profil im Social-Media-Netzwerk Instagram zu finden. Hier teilt er Fotos von Outdoormärschen und posiert mit einer Pistole. Einer seiner Follower, Steve Deerman (alias SierraHotelOne), dem jedes von Kaufmanns Bildern gefällt, hat auf seinem eigenen öffentlichen Account ein Bild gepostet, das ihn und Kaufmann mit einer Gruppe Männern bei einem Schießtraining im Sommer 2020 in Polen zeigt.

Neben seinem Faible fürs Schießen und für Outdoormärsche, zeigt Thorben Kaufmann auf Instagram auch ganz offen seine politische Einstellung, indem er sich zum militanten Arm der QAnon Bewegung, der QArmy, bekennt (s.u.). Der Amadeu Antonio Stiftung zufolge handelt es sich bei QAnon um eine „der derzeit dynamischsten und gefährlichsten antisemitischen und rechtsextremen Bewegungen“ (3). Durch ihre Verschwörungserzählungen vom Deep State und von der Misshandlung von Kindern durch Eliten, „legitimiert [sie] damit Angriffe bis hin zu Terroranschlägen“ (4).

Auch außerhalb der Onlinewelt zeigt Thorben Kaufmann Sympathien für einen militanten Kampf gegen empfundenes Unrecht. So trägt er zum Schießtraining auf seiner Schutzweste ein Aufnäher, das zur Hälfte eine Deutschlandfahne und zur anderen Hälfte das sogenannte „Punisher-Logo“ zeigt.

Dieses Logo ist sowohl im QAnon-Sprektrum als auch bei US-amerikanischen Neonazis und Waffenfetischist*innen sehr verbreitet und war auch mehrfach bei der Stürmung des Capitols am 06.01.2021 in Washington zu sehen. Der Punisher ist ein Held aus den Marvel Comics und obwohl dieser Selbstjustiz an Verbrecher*innen übt, ist das Logo ursprünglich eher popkulturell als politisch. Populär in der US-amerikanischen Rechten machte es der Scharfschütze Chris Kyle, dem 160 bestätigte Tötungen den zweifelhaften Ruhm als „erfolgreichster“ Sniper in der Geschichte des US-Militärs einbrachten. In seiner Autobiografie fällt Cris Kyle vornehmlich durch seine Menschenverachtung, seinen Rassismus und seinen Sadismus auf, und findet dadurch in der US-amerikanischen Rechten viele Bewundrer*innen. Auch Thorben Kaufmann scheint fasziniert von diesem Geist, selber und aus dem Hinterhalt über Gut und Böse entscheiden und richten zu dürfen.

Der Waffenfetischismus von Thorben Kaufmann zeigt sich auch darin, dass er ein Bild mit dem Hashtag Black Rifles Matter teilte (s.u.). Unter diesem Hashtag versuchen vor allem weiße US-Amerikaner*innen sich als eine diskriminierte Minderheit der Waffenbesitzer*innen zu porträtieren und diese empfundene Diskriminierung auf eine ähnliche Ebene, wie die Black-Lives-Matter-Bewegung zu heben.
In Verschwörungserzählungen wie bspw. QAnon wird die Autorität des Staates und irgendwelcher vermeintlicher Eliten gezielt delegitimiert und der Einzelne damit in eine Position erhoben, selbst über Recht und Unrecht zu urteilen und dieses durchzusetzten. In Kombination mit seinem Waffenfetischismus ergibt sich bei Kaufmann eine gefährliche Mischung bei der es auch nicht verwunderlich ist, dass er sich der Reichsbürger*innenbewegung nahe fühlt und in der Vergangenheit für den Verein Freiheit für Deutschland e.V. den Stammtisch für die Region Lüneburg organisierte. Auch Reichsbürger*innen bestreiten die Legitimation der Bundesrepublik Deutschland und leiten daraus das Recht ab selber Staatsgewalt ausüben zu dürfen.

Thorben Kaufmann tritt nicht offen als Neonazi oder Anhänger einer rechten Partei auf. Antisemitische rechte Verschwörungsideologien und die Ideen der Reichsbürger*innen sowie der Querdenken-Bewegung prägen sein Weltbild offensichtlich ebenso wie die Faszination für die US-amerikanische Altright-Bewegung. Gerne möchte er in Aktion treten und sucht offensiv in rechten Telegram-Gruppen Mitstreiter*innen, z.B. für den D-Day 2.0. Nebenbei trainiert er Schießen und Überleben im Ernstfall. Wahrscheinlich würde er sich selber nicht offen als rechts betiteln und ist sich seiner menschenverachtenden Ideologie vermutlich nicht einmal bewusst, sondern wünscht sich, in der Tradition des „American Sniper“ Cris Kyle, eine selbst empfundene Gerechtigkeit mit allen Mitteln durchzusetzen. Dabei ist er insbesondere über Telegram mit Gleichgesinnten vernetzt, erhält Informationen, Unterstützung und Bestätigung. Selbst wenn es ihm nicht gelingt, dort Mitstreiter*innen zu mobilisieren, ist es nicht ausgeschlossen, dass er – in dem Wissen, die Community hinter sich zu haben – auch alleine aktiv wird.

(1) https://www.youtube.com/watch?v=RkO_QlWM4HE&feature=youtu.be

(2) https://jungle.world/artikel/2020/34/ein-polizist-wirbt-fuer-den-umsturz

(3) https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2020/11/01-dehate-report-QAnon.pdf

(4) https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/wp-content/uploads/2020/11/01-dehate-report-QAnon.pdf